22. Juni 2022

Nordseeküste von Amsterdam Richtung Hamburg

Montag, 27. Juni 2022
Heute Abend reisen wir mit dem Nachtzug nach Amsterdam. Die Fahrräder sind natürlich dabei. Was uns noch auf Trab hält, ist die Frage: Wie, wo und unter welchen Umständen können wir unsere E-Bikes verladen…?
Um 19:57 fährt unsere S–Bahn nach Luzern. Unsere E–Bikes sind bereit, die Ketten geölt, die Pneus aufgepumpt, die Sagoschen und der Rucksack aufgeschnallt. Wir können starten.
In Luzern erwartet uns die erste Überraschung: Der Zug nach Zürich hat herkömmliche, einstöckige Eisenbahnwagen – und das heisst, alles Gepäck abschnallen, Akkus entfernen, denn die Velos werden an Haken hängend transportiert. Mit der freundlichen Mithilfe des SBB–Zugbegleiters schaffen wir es fast problemlos, die schweren Bikes in den Wagen zu heben und regelkonform an die Haken hinauf zu stemmen.
In Zürich können wir wieder auf die Mithilfe des Kondukteurs zählen. Aber beim Einlad in den Night–Jet nach Amsterdam müssen wir es selber schaffen. Dafür steht aber in unserem Schlafabteil für jedes von uns eine Papiertasche mit einem Fläschchen Prosecco, mit etwas Knabberzeugs, mit einem Paar Finken und anderen Utensilien bereit. Nun geniessen wir auf der Fahrt Richtung Basel die Annehmlichkeiten dieses Nachtzugs. Dabei rattert und schüttelt es immer wieder.

Dienstag, 28. Juni 2022
Die Nacht geht recht schnell vorbei, wir schlafen beide relativ viel. Aber um sechs sind wir wach. Schon kurz danach treffen wir in Köln ein. Unser Zug hält unmittelbar vor der imposanten Frontfassade des Doms. Kurz nach acht werden wir vom Schlafwagenschaffner mit einem für die Umstände reichhaltigen Frühstück bedient. Wir geniessen die feinen Lebensmittel aus österreichischen Betrieben, alles schmeckt vorzüglich.
Um ca. viertel nach neun fährt unser Zug in Amsterdam Centraal ein. Unser Gepäck und die Velos schaffen wir zusammen problemlos aufs Perron. Probleme stelle sich erst, als wir den Lift benützen wollen, um den Ausgang zu erreichen. Der erste Lift ist ausser Betrieb, der zweite hat zu kleine Ausmasse für unsere Gefährte, so dass nur die Treppe zum Hinuntersteigen auf den Groundfloor übrig bleibt, und das mit Velos von über 20 kg Masse und mit nicht viel weniger wiegendem, aufgeschnalltem Gepäck. Sagoschen, Rucksack und Lenkertasche abschnallen, eine äusserst schmale Rinne am Rande der steilen Stiege und ein freundlicher Bahnangesteller sind unsere Rettung. Aber das Verlassen des Bahnhofareals ist damit noch nicht geschafft. Das verhindern Barrieren, die sich nur nach dem Einscannen eines QR-Codes auf dem Bahnticket heben. Und unser SBB-Ticket verfügt selbstverständlich nicht über einen gültigen Code. Ist das etwa so, weil der Bundesrat die Verhandlungen über den Rahmenvertrag mit der EU abbrach? Auf einer Notruf-Säule nebenan kann ich Kontakt aufnehmen mit einer unsichtbaren Person, die mir eine der verschlossenen Barrieren öffnet und uns damit das Verlassen des Bahnhofareals ermöglicht.
Nun heisst es erst mal, sich orientieren, Strassennamen zu erkennen, Wegweiser zu studieren. Und dann geht die Velotour los. In zügigem Tempo fahren wir auf stark befahrenen Radwegen unserem ersten Ziel, Haarlem, entgegen. Es ist ein gutes Gefühl, wieder einmal mit schwer bepacktem Velo in fernen Landen unterwegs zu sein. Der Weg ist gut ausgeschildert. In Haarlem fahren wir ins Zentrum, bestaunen die spezielle Architektur der Gebäude, die Klapp- und Drehbrücken über die vorbeiführende Gracht und geniessen in einem Strassencafé einen Cappuccino. Anschliessend geht die Fahrt weiter, und plötzlich einmal steht „Zandvoort“, unser erstes Ziel, nicht mehr auf den Wegweisern. Wir haben uns verfahren. Aber mit Hilfe von Margrits Handy finden wir zurück auf den richtigen Weg und erreichen nach einer weiteren Pause und rund 40 km Fahrt unser Ziel und unsere vorgebuchte Unterkunft . Dort können wir duschen und uns für den spätnachmittäglichen Ausgang zurecht machen. In zwei Strandrestaurants in sonniger Lage mit einem reichhaltigen Angebot lassen wir den Abend ausklingen.

Mittwoch, 29. Juni (Namenstag: Peter und Paul)
Wir sind beide schon früh wach und vertreiben uns die Zeit mit Schreiben, denn schliesslich müssen wir die uns selbst auferlegte Pflicht erfüllen. Zudem ist in unserem Zimmer eine Kaffeemaschine mit allem Zubehör, so dass wir total wach und angeregt starten können.
Schon vor acht machen wir uns auf den Weg. Wir folgen den Markierungen des Nordseeküsten-Radwegs bis kurz hinter Zandvoort und zweigen dann in den Dünenradweg Richtung Norden ein. Die einmalige Dünenlandschaft des Nationalparks Zuid-Kennemerland beeindruckt uns sehr. Es ist eine abwechslungsreiche Fahrt, die wir hier erleben. Es gibt sehr trockene Regionen mit viel Sand und wenig Pflanzenbewuchs, aber auch Kiefernwälder und grüne Gebiete, die wir durchqueren. Der Weg ist mit vielen Kurven, Steigungen und Gefällen durchsetzt. Zwischendurch führt die Route in der Nähe von grösseren und kleineren Teichen mit einer artenreichen Vogelwelt vorbei. Wir beobachten u.a. Grau-, Kanada- und Nilgänse. Lauthals bemerkbar machen sich Sichelsäbler, Flussseeschwalben, verschiedene Möwenarten und Stare. Zwergtaucher, unterschiedliche Enten, Höckerschwäne u.a. bevölkern die Wasserflächen. Und plötzlich hoppelt noch ein Wildhase eine Düne hoch, und zwei Austernpicker ruhen sich neben einem Abfallkübel aus. Ja, es gibt hier viel zu sehen.

In Wijk an Zee kaufen wir uns je einen kalten Kaffee, Brot und Früchte, und da draussen neben dem Laden gleich ein Tisch mit Bänken steht, verzehren wir das Gekaufte gerade hier. Eine kleine Pause tut gut.
Anschliessend fahren wir schon bald wieder durch die Dünen: hinauf, hinunter, links und rechts, und immer wieder gibt es etwas Neues zu beobachten. Zwischendurch legen wir ein paar km auf dem Radweg entlang einer Strasse zurück. Da geht es meist etwas schneller. In einem Strassencafé legen ihr die Strategie fest, wie wir zu unserer vorgebuchten Unterkunft gelangen. Nach einigen km Weiterfahrt stellen wir dann fest, dass wir schon zu weit gefahren sind. Mit Hilfe von GoogleMaps, einem freundlichen alten Herrn und dem bikeline- Radführer gelangen wir dazu: ein Wohnwagen- und Wohnmobildörfchen mit dazwischen gestreuten Baubaracken, eingerahmt von einer Pferdestallung und der zugehörigen Weidefläche. Zwei Damen empfangen uns und teilen uns die für unsere Übernachtung vorgesehene Baubaracke auf Rädern zu. Der Komfort ist minimal, der Raum aber liebevoll und kitschig dekoriert, die WC- und Duschanlage sauber, aber leicht stinkig. Für eine Nacht ist das wohl stemmbar. So richten wir uns ein, duschen und fahren mangels anderer Gelegenheit mit unseren Bikes zum Nachtessen ins nächste Dorf, Julianadorp. Hier finden wir ein akzeptables Angebot und geniessen den Abend an der Sonne mit Bier, Wasser, Wein und verschiedenen Speisen. Die Rückfahrt gelingt problemlos. Schon bald versinken wir in süssen Schlaf.

Donnerstag 30. Juni
Wenn man müde ist, schläft man auch bei geringstem Komfort wunderbar. So ist es uns in der vergangenen Nacht ergangen. Nach kurzem Frischmachen und längerem Packen fahren wir mit abfahrbereiten Bikes zum Haus unseres Gastgebers. In einem herrschaftlichen Raum mit vielen ornamentalen Gegenständen kitschigen und antiken Urspungs, grossen Fenstern ohne Vorhängen und mit Möbeln verschiedener Ahnen ausgestattet steht auch ein grosser Tisch mit vielen Frühstückbeilagen. Wir geniessen ein ausgiebiges Mahl.
Gut genährt und zufrieden fahren wir nun zum Fährenterminal nach Texel. Die Fähre bringt uns in rund 20 Minuten auf die Insel. Erstes Ziel ist Den Hoorn, wo wir bei der Kirche eine Bank, Tische und Stühle vorfinden, die zum Verweilen einladen. Hier ergänzen wir das nahrhafte Frühstück mit Früchten aus unserem eigenen Vorrat. Der nächste Halt findet in Den Burg statt. Neben dem Restaurant, wo wir einen Kaffee genießen, werden gerade Filmaufnahmen für eine Bierwerbung, Texels Bier, gemacht? Spannend, da einiges mitzubekommen.

In Oosterend probieren wir einen pannenkoeken mit Texelkaas. Der schmeckt lecker. Dann geht’s der Küste entlang auf und neben dem Deich Richtung Norden. Westlich des Deiches befinden sich viele Gewässer mit einer Unzahl nistender Wasservögel. Mit viel Gekreische und Pfeifen streiten sich Möwen, Seeschwalben, Gänse und andere Arten um Futter, Nistplätze und bei der Verteidigung ihrer Jungen. Auf der Westseite des Teiches sind die Wege wegen des aktuellen Brutgeschäfts einiger geschützter Arten teilweise gesperrt. Und immer wieder weiden Schafherden dazwischen.
Unser Ziel ist der Hafen der Fähre nach Vlieland. Bevor diese um 17:15 Uhr ablegt, können wir uns noch einen Abstecher zum Leuchtturm leisten. Und dann beginnt das Abenteuer. Die Fähre nach Vlieland ist ein älterer Kahn, erreichbar über einen sandigen Weg über eine Düne und anschließend über einen Holzsteg mit steiler Rampe hinunter zur Anlegestelle. Die mitgebrachten Fahrräder werden mit einem Seil an der Reling des Schiffes fixiert. Die Fahrt dauert nur etwa 20 Minuten. Dann fährt der Kahn mit dem Bug voran auf die riesige Sandbank, die zur Insel Vlieland gehört. Eine vorne ausklappbare Gangway, die über einen kleine Treppe erreichbar ist, wird ausgefahren. Alle Passagiere und alle Velos werden über diesen schmalen Steg auf den nassen Sand entladen und müssen auf einen Speziallaster wieder aufgeladen werden – ein recht mühseliges Prozedere. Darauf fährt ein junger Chauffeur nach kurzer Schilderung, was uns erwartrt, los. Wir halten uns während der Fahrt, bei der es nur so unter den Rädern hervorspritzt, fest. Sie dauert rund eine halbe Stunde.
Der Ablad erfolgt mit Hilfe der Mitfahrenden schnell und unkompliziert. Noch rund neun km Fahrt stehen uns bevor. Dann erreichen wir unser Hotel.
Das Nachtessen nehmen wir in einem Lokal rund 100 m vom Hotel entfernt ein. Ein Teller gebratener Miesmuscheln und ein Bier krönen den Abend. Doch plötzlich und unerwartet ist ein Gewitter da. Es regnet wie aus Kübeln und will einfach nicht mehr aufhören. So werden es zwei oder drei Glas Bier für mich und dieselbe Anzahl Gläser Wein für Margrit, und es schüttet weiter. Kurz vor elf stellt sich eine Pause ein, in der wir beinahe trocken zu unserem Hotel zurücklaufen können. Allerdings tragen wir unsere Schuhe in den Händen mit.

Freitag, 1. Juli
Der heutige Tag verläuft weniger spektakulär. Da die Fähre erst um zehn vor zwölf fährt, machen wir bis zum Auscheck-Termin einen Spaziergang in Oost-Vlieland und lösen gleich noch die Tickets am Schalter. Nach dem Verlassen des Hotels geht es immer noch länger als eine Stunde bis zur Abfahrt. Unterdessen kommt die Fähre an, und das heisst Szenenwechsel. Hunderte Touristen verlassen das Schiff, ergiessen sich auf den Platz beim Hafen und verteilen sich in die angrenzenden Strassen. Also machen wir noch einen kleinen Ausflug mit vollbepacktem Velo, da das Einsteigen noch nicht freigegeben wird. Als wir kurze Zeit später zum Hafen zurück kommen, befinden sich noch mehr Menschen auf dem Platz, viele davon mit Fahrrädern und Koffern. Der Einlad erfolgt dann sehr speditiv, und wir staunen, wie die beiden Schiffsangestellten die Velos entgegennehmen und sie sehr nah nebeneinander stellen. Nun geniessen wir die etwa 95-minütige Überfahrt nach Harlingen.
Bei der Ankunft sieht es zwar zuerst sehr nach Chaos aus bei den Velos. Aber die meisten Leute warten geduldig, bis ihr Gefährt frei zugänglich ist und verlassen das Schiff darauf zügig. Wir begeben uns sofort auf den Veloweg und werden allerdings bei einer Zugbrücke, die gerade hochgezogen wird, gebremst. Und hier ist nicht mehr grosse Geduld vorhanden. Einige pressante Leute kenne da kein Pardon und kämpfen sich zur Barriere vor, und als diese dann gehoben wird, entsteht ein heftiges Gedränge. Wir haben Zeit. und dann ist das Losfahren doch eine Erlösung. Mit viel Rückenwind erreichen wir unser Ziel, das B&B “het lage noorden“ in Marrum, etwas spät.

Aber dieses B&B hat es in sich. Es liegt mitten im Landwirtschaftsgebiet, nahe einem Deich, rund 4 km ausserhalb Marrum. Ein Architekt und Kunstmäzen, selbst Künstler, hat hier einen grossen Bauernhof gekauft und die Scheune zu einem Ausstellungs- und Ateliergebäude mit Kantine umgebaut. Hier drin wirken bildende Künstler. Zudem hat er Fremdenzimmer gestaltet, die er an Durchreisende vermietet und diesen auch Frühstück serviert. Den Siloturm hat er zu einem Aussichtsturm mit Innentreppe umgbaut. Er erinnert uns an Wetz mit seinem KKLB.

Samstag, 2. Juli
Zusammen mit einem Radfahrerpaar aus der Gegend von Offenburg geniessen wir das Frühstück an einem grossen Tisch und tauschen uns angeregt aus. Es ist recht vielfältig. Bedient werden wir vom Chef des Hauses persönlich.
Danach geht unsere Fahrt weiter. Uns fallen auf dem Weg Richtung Norden die vielen Monumente auf, die an Erfolge im Deichbau, an Unwetter mit katastrophalen Folgen und an Ereignisse im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg erinnern.
Unterwegs machen wir Halt in einem Vogelschutzgebiet und beobachten aus einer Hide heraus die Umgebung, finden aber wenig Neues. Erwähnenswert ist, dass im Innern des Verstecks unter der Decke mehrere Nester von Rauchschwalben hängen, die bewohnt sind. Die Eltern-Schwalben füttern ihre Jungen trotz unserer Anwesenheit, setzen sich auf Absätze und machen mit schrillem Pfeifen darauf aufmerksam, dass wir ungebetene Gäste sind. So verlassen wir dann die Hide schon bald wieder.

Draussen telefonieren wir verschiedenen Anbietern von Unterkünften und haben zunächst wenig Erfolg, bis dann doch noch die Betreiberin eines Campings und Bungalows in Molenrij uns eine Zusage geben kann. Und nun sitze ich gemütlich in der Stube des Bungalows und schreibe diese Zeilen.

Sonntag, 3. Juli
Es ist halb sieben vorbei. Um acht kommt die Betreiberin des Betriebs mit dem Frühstück vorbei. Anschliessend geht es weiter nach Delfzijl, wo wir für heute Abend bereits gestern Abend ein Hotelzimmer buchen konnten.

Nach dem reichhaltigen Frühstück, von dem einiges übrig blieb, machen wir uns auf den Weg. Kurz vor Pieterburen gelangen wir auf den Radweg. Er führt uns an den Deich zurück. Da kommen wir wieder einmal bei einem Vogelschutzgebiet vorbei. Dieses macht sich schon weit im Voraus durch Pfeifen und Kreischen bemerkbar. An wenigen Tümpeln hat sich eine riesige Anzahl Individuen versammelt. Speziell daran ist, dass eine grosse Gruppe Löffler dabei ist. Erwähnenswert ist auch die ansehnliche Anzahl Sichelschnäbler, die hier laut dabeistehender Orientierungstafel ihr Brutgeschäft wahrnehmen.
Der Weg führt in vielen wechselnden Abschnitten durch die Gegend. Einmal fahren wir zügig einem Deich mit Schafweiden entlang, wobei die verschiedenen Weidenareale durch Weideroste, die leicht zu überfahren sind, voneinander getrennt sind. Dann wieder sind selbst zuklappbare Gattertore dazwischen, bei denen man oft absteigen muss, um sie zu durchfahren. Mal sind es breite Strassen, die wir befahren, ein anderes Mal wieder schmale, kurvenreiche Pflaster- oder Betonplattenwege, die es nicht erlauben, mit einem entgegenkommenden Fahrer ohne abzusteigen auszuweichen. In Ortschaften drin werden wir oft auf Umwegen zu den Sehenswürdigkeiten wie Kirchen, einem Schloss oder einem Denkmal geleitet. Es gilt immer, aufmerksam zu sein, und langweilig wird es uns nicht. So gelangen wir nach einem Picknickhalt auf einem Parkbänklein und nach einer Kaffeepause in einem Schlosskaffee nach Delfzijl, wo wir dank Margrits Handy problemlos unser Hotel finden. Telefonisch melden wir uns beim Betreiber an, und der gibt uns die Anweisungen telefonisch durch, wie wir ins Zimmer gelangen und wie die Velos verstaut werden. Per Fernbedienung öffnet er uns die Türe. Wir erreichen das Zimmer nicht, da beginnt es zu regnen, und das recht massiv, aber nicht allzu lang.
Bei der Heimkehr vom Nachtessen begegnen wir dem Angestellten, der die Lebensmittel fürs Frühstück liefert, das wir uns morgen selber zusammenstellen und zubereiten können. Zum Abschluss müssen wir dann das Geschirr in den Geschirrspüler stellen und den elektronischen Zimmerschlüssel auf den Tisch im Zimmer legen. Und nun heisst es schlafen und Energie tanken für den morgigen Tag.

Montag, 4. Juli
Früher als sonst kommen wir heute zu unserem Frühstück. Wir können, da wir uns in einem „Selbstbedienungshotel“ befinden, Geschirr und Besteck aus dem Küchenmöbel, Butter, Fleisch, Käse, Milch und Johurt aus dem Kühlschrank nehmen, Kaffee an der Kaffemaschine herauslassen und unser selbst zusammengestelltes Frühstück im Gemeinschaftsraum geniessen. Allerdings gesellt sich niemand zu uns.
Nach dem Genuss machen wir uns für die Wegfahrt bereit. Wir starten bei sonnigem Wetter. Zuerst geht es durch Industriegelände mit intensivem Lastwagenverkehr und stinkiger Luft und dann neben Deichen mit Schafweiden entlang. Zum Glück sind die meisten Übergänge zwischen den Weiden mit Weidrosten voneinander abgetrennt. Aber die Schafe halten nichts von Ordnung und Sauberkeit. Sie legen sich hin, wo es ihnen passt, und verrichten ihr Geschäft oft auf den Radwegen. Da heisst es Slalom fahren, einerseits um die Schafe, die selten bis nie scheu sind, zu schonen und andererseits um die Kothäufchen, deren Bestandteile gerne an den Velopneus im Profil kleben bleiben und zum Himmel stinken, zu vermeiden.
Allmählich verdüstert sich der Himmel und Regen droht. Da kommen uns die seit wenigen Minuten geltenden anders organisierten Radwegmarkierugen sehr entgegen. Wir sind nämlich jetzt in Deutschland. Da werden die Radwege mit speziellen Wegweisern versehen, auf denen Zielorte mit deren Entfernung angegeben sind. Da lesen wir, dass Ditzum über einen massiv kürzeren Weg erreichbar ist. Aufgrund des drohenden Regens entschliessen wir uns für die rund 20 km kürzere Variante.
Da sich unterwegs der Himmel nach ein paar Tropfen schon bald wieder freundlicher zeigt, machen wir auf einer Bank noch eine Mittagsrast mit Picknick. Danach fahren wir weiter, landen direkt vor der Fähre nach Petkum mit ausgefahrener Einfahrtsrampe und rollen darauf. Wenige Minuten später legt sie ab und setzt über. Unsere Unterkunft liegt praktisch am Radweg.

Nach der Dusche und einer flüssigen Erfrischung im Biergarten machen ihr noch einen Spaziergang auf den naheliegenden Deich. Auch hier liegt ein weiteres Vogelparadies für ansässige und wiederkehrende Brutvögel wie auch Durchzüger. Leider habe ich das Fernglas im Hotel gelassen. Aber wir hören einige bekannte Stimmen und sehen auf den bereitgestellten Tafeln, was alles hier zu beobachte wäre.
Das Nachtessen, eine Scholle nach Finkenwerder Art für mich und ein Salatteller für Margrit, runden den Tag ab.

Dienstag, 5. Juli 2022
Unsere Fahrt beginnt heute bei blauem Himmel, Sonnenschein und angenehmer Temperatur. Es steht uns die Durchquerung von Emden bevor. Schon aus der Karte im Bikeline-Führer ist ersichtlich, dass dieses Unterfangen nicht ganz einfach ist. Wir kommen jedoch gut zurecht mit der Linienführung, bis auf den Schluss. Da müssen wir plötzlich feststellen, dass wir an einem selben Ort anlangen, wo wir schon einmal gewesen sind. Beim zweiten Anlauf schaffen wir es dann doch noch.
Unser erstes Ziel heute ist das Siel- und Schöpfwerk Knock westlich von Emden. Dort lässt sich die alte Anlage aus dem 19. Jahrhundert betrachten. Sie ist nicht mehr in Betrieb. Die Bogenöffnung ins Wattenmehr hinaus ist zugemauert. Ein paar hundert Meter davon entfernt wurde die neue Anlage erbaut. Solche Werke regulieren den Wasserstand hinter den Deichen und bewirken demzufolge, dass die Landoberfächen nicht geflutet werden, was zurzeit so oder so keine Gefahr darstellt.
Wir wählen als nächstes die Routenvariante, die ein Stück von der Meeresküste wegführt. So gelange wir nach Rysum, einem Städtchen, das seinen Ursprung auf einer Warft hatte. Warften sind aus Erde angehäufte Hügel in bei Stumflut überflutunsgefährdeten Gegenden. Die roten, einstöckigen Backsteingebäude sind typisch für die Gegend. Die ganz unterschiedlich gestalteten Häuser und die engen und verwinkelten Wege verleihen der Ortschaft eine malerische Wirkung auf uns Betrachter.
Zurück am Deich entlang, fallen uns eine grosse Menge Leute bei einem Leuchtturm auf. Es ist der Pilsumer Leuchtturm, der offenbar eine magische Anziehunskraft auf die Menschen ausübt. Dahinter steckt Otto, der friesische Spassmacher. Das Gebäude kommt in mindestens zweien seiner Filme vor. Ein riesiger Parkplatz und ein grosser Kinderspielplatz mit allerlei Geräten tragen das ihre dazu bei.
Schwarze Wolken ziehen auf. Der Wind wird kräftiger und kühler. Gepicknickt haben wir, aber ein Kaffee täte schon gut in dieser Situation. Deshalb zweigen wir in Greetsiel vom Radweg ab ins Städtchen. Und siehe da, da gibt es eine Pizzeria, betrieben von einem Italiener. Und hier bestellen wir zwei Cappuccini und ein Tiramisu. Traumhaft schmecken die „süsse Versuchung“ und der Kaffee. Und zudem hellt sich nicht nur unsere Stimmung auf, der Himmel macht auch mit.
Mit einigen kleinen Problemen beim Auffinden des richtigen Weges schaffen wir die Ankunft in Leezdorf, wo wir für die Nacht gebucht haben.

Ein schmackhaftes Essen (Schollenfilet mit Salzkartoffeln für mich, Blumenkohlfrikadellen an einer Zigeunersosse für Margrit) und ein Glas Weisswein schaffen die nötige Müdigkeit, um in einen ruhigen Schlaf hinein zu gleiten.

Mittwoch, 6. Juli
Nach einer ruhigen Nacht und einem reichhaltigen Frühstück in unserem Hotel machen wir uns bereit. Wir sind etwas früher dran als sonst, und der Himmel ist weitgehend bedeckt. Also ziehen wir uns etwas wärmer an. Und dann geht die Fahrt los. Da wir etwas abseits des Nordsee-Radwegs übernachteten, müssen wir zuerst mal die offizielle Route wieder finden, was uns doch etwas Mühe macht, da der Weg oft etwas fragmentarisch beschildert ist. Mit Hilfe des Norddeutschen Systems mit nummerierten Knotenpunkten finden wir den richtigen Weg.
Schon bald fallen die ersten Tropfen. Zum Glück fahren wir gerade zu diesem Zeitpunkt einen der genannten Knotenpunkte an, wo ein Unterstand steht, der uns Schutz vor dem Regen gibt. Ein älterer Herr fährt dazu, und im Gespräch mit ihm über die bevorstehende Etappe gibt er uns wertvolle Hinweise. Er rät uns, die Deichroute zu wählen, da sie besser zu befahren sei. Und der Regen ist vorbei.
Als dann aber beim Erreichen des Deiches dort ein Fahrverbot und ein Hinweis stehen, dass es wirklich verboten sei, da lang zu fahren, zweifeln wir an seinem Rat. Aber eine soeben hinzukommende Frau mit Hund zerstreut unsere Bedenken und erklärt uns, dass der betreffende Weg mit Fahrrädern problemlos zu befahren sei, was er dann wirklich auch ist. Praktisch ist dabei auch die Möglichkeit, entweder auf der Aussenseite (Meeranstoss) oder auf der Innenseite (Landanstoss) zu fahren. Am Vormittag ist Ebbe, am Nachmittag setzt die Fut ein. Zudem besteht hier und da die Variante Deichkrone. Was etwa Mühe bereitet, sind die Übergänge von einer Schafweide zur andern. Da gibt es breite bis ganz schmale Weidroste, Übergäge mit Rampen, Tore, die leicht schräg gestellt sind, damit sie nach dem Öffnen selber wieder schliessen. Im schlimmsten Fall müsste man den Zaun übersteigen, aber mach das mit unseren Velos und dem Gepäck drauf.

In Norddeich angekommen, stellen wir unsere Fahrzeuge ab und unternehmen einen Rundgang durch die Tourismus-Anlagen. Als erstes fallen neben den vielen Leuten die vielen Strandkörbe auf. Da gibt es ein grosses, eingezäuntes Areal mit eben diesen Körben, mit vielen Menschen und fast ebenso vielen Hunden: der Hundestrand. Ein riesiger Spielplatz mit allerlei Attraktionen gehört dazu und natürlich Verpflegunsstände und ein Restaurant mit Innen- und Aussenbereich, windgeschützt mit hohen Plexiglaswänden. Aber auch der Natur wird Raum gegeben, gibt es doch eingezäunte Areale, wo zum Schutz der Oberfäche Dünengräser angesetzt wurden, um dem Wandern der Dünen Einhalt zu Gebieten. Zudem sind die Touristen zu erwähnen, die je nach Empfindlichkeit mit Badekleidern oder in Mäntel gehüllt herumlaufen. Am Rand zum Meer, wo jetzt Ebbe herrscht, waten Menschen durch den Schlick, zum grösseren Teil barfuss, einige wenige mit Stiefeln. Mit Spaten lochen sie im Schlick. Was sie dabei ausgraben, entzieht sich meiner Kenntnis. Es geht hier sehr geschäftig zu. Wir sind froh, als wir mit unseren Velos wieder ruhigere Gegenden vor uns haben.
Allerdings kommt alles anders. Die Weiterfahrt dem Deich entlang mit gutem Rückenwind und einigem Abstand zwischen uns, Margrit hinten, ich vorne, wird jäh unterbrochen durch einen Aufschrei meiner besseren Hälfte. Mir stockt das Blut in den Adern, bremsen, nach hinten schauen… Glück! Margrit ist nicht gestürzt, steigt aber vom Velo. Was ist los? Ihr Sattel löste sich bei voller Fahrt mit einem lauten Knall, wie sie sagte, vom Velo und fiel auf den Boden. Sie konnte auf den Pedalen stehend bremsen. Was ist passiert? Die eine Schraube, mit der der Sattel auf die Stange, die in den Rahmen gesteckt wird, ist gebrochen, die zweite fehlt und ist unauffindbar. Wie weiter? Zur nächsten Ortschaft, wo im bikeline-Führer ein Fahrradverleih angezeigt wird, sind es rund fünf km.
Was tun? Margrit will versuchen, diese Strecke auf den Pedalen stehend zurückzulegen. Dann kommt ihr aber die Idee, den aufgeschnallten Rucksack etwas nach vorne zu schieben und ihn als Auflagefläche für ihren Po zu nutzen. Auf diese Weise erreicht sie, zwar schwitzend, Nessmersiel, und wir finden schnell den gesuchten Verleih. Aber wie das so ist, ist er am Mittwochnachmittag geschlossen, und niemand reagiert auf unser Klingeln. Glücklicherweise kommt gerade die Pöstlerin vorbei, und sie kann uns die Adresse und den Weg zu einer nahen Schlosserei beschreiben. Und da wird der Schaden unkompliziert, freundlich und günstig behoben.
Die Fahrt geht weiter. Unser Ziel ist Werdum, wo wir eine wunderschöne und komfortable Unterkunft und ein gutes Restaurant zum Essen vorfinden. Dass wir uns nach dem feinen Essen sputen müssen zu unserer Unterkunft zurückzulaufen, hängt mit dem drohenden Regen zusammen, der kurz, nachdem wir unser Ziel erreicht haben, recht heftig einsetzt.

Donnerstag, 7. Juli
Schon vor dem Frühstück regnet es, hört dann aber wieder auf, um während des Frühstücks von neuem zu beginnen. Was erwartet uns denn heute? Jedenfalls ziehen wir uns etwas wärmer an als bisher. Unser Gastgeber ist der Meinung, dass es heute nicht mehr regnet, seine Angestellte meint, dass der heutige Tag regnerisch werden wird. Dreimal suchen wir während unserer Fahrt, die nach Wilhelmshaven führt und rund 55 km lang ist, einen Unterstand auf. Aber dann ist es vorbei mit Regen.
Interessant ist der alte Hafen von Hooksiel, wo einige Gegenstände aus vorigen Jahrhunderten aufgestellt und beschrieben sind.

In Wilhelmshaven ist es für uns recht schwierig, uns zurechtzufinden, da die Radwege verwirrlich und unvollständig beschriftet sind und kreuz und quer durch die Stadt führen. Die Leute hier sind sehr freundlich und schnell bereit zu zu helfen, wenn wir wieder mal ratlos stehen bleiben und auf Führer und Handy blicken. So sind wir heute schon früh an unserem Ziel angelangt. Wir unternehmen eine ausgedehnten Spaziergang in der Stadt und gehen anschliessend in ein libanesisches Restaurant zum Essen. In der Hotelbar geniessen wir noch ein “Absackerli“, bevor wir unser Zimmer beziehen.

Freitag, 8. Juli
Als wir erwachen und die Vorhänge vor unseren Fenstern ziehen, erblicken wir zu unserer Freude einen klar blauen Himmel. Endlich kommt das schöne Wetter zurück. Wir machen uns zurecht, packen unsere Sachen ein und gehen zum Frühstück, das hier in Deutschland eine ganz wichtige Rolle spielt. Heute ist es besonders vielfältig, und mindestens ich esse mich so richtig satt. Und dann geht’s aufs Velo. Unterdessen hat sich das Blau am Himmel verzogen, und wir ziehen uns eine Jacke an. Als wir auf dem Deich anlangen, wo der Weg zu unserer nächsten Station beginnt, werden wir wie schon an den Vortagen mit recht heftigen Böen konfrontiert. Und da ist nichts von Sommerwärme zu spüren. Nichtsdestotrotz starten wir und werden werden immer wieder von ein paar am und auf dem Wasser lebenden Vögeln abgelenkt. Da sind mal die Möwen, Brandgänse, grossen Brachvögel und noch ein paar andere Arten, die wir nicht identifizieren können, im allmählich trockener werdenden Wattenmeer erkennbar. Da unser nächster Etappenort, Varel, nicht allzuweit entfernt ist, können wir uns Zeit lassen.
Auf einem der Deiche begegnen wir einer jüngeren Velofahrerin, die allein unterwegs ist. Im Gespräch kommen wir auf ihre Herkunft und ihre Ziele zu reden. Sie ist geborene Deutsche, lebt in Neuseeland und fährt gerne Rad. In Nürnberg gestartet fuhr sie zuerst an den Bodensee, dann dem Rhein entlang nach Hoek van Holland und ist jetzt unterwegs auf der Nordseeroute bis an die Grenze zu Dänemark. Danach soll irgendwann die Ostseeküste noch drankommen. Wir wünschen ihr gute Fahrt. Sie hat ambitioniertere Ziele als wir und will heute noch weiterkommen.
Interessant ist als nächstes das Dorf Neustadtgödens. In dieser Stadt gab es zu früheren Zeiten fünf verschiedene Kirchengebäude, nämlich ein lutherisches, ein katholisches, ein mennonitisches, ein reformiertes und ein jüdisches. Davon dient heute nur noch die lutherisch evangelische Kirche ihrem Zweck. Die jüdische Synagoge ist ein Museum und die übrigen Gebäude wurden zweckentfremdet. Diese Kenntnisse vermittelt uns ein Einwohner, den Margrit angesprochen hat. Zudem stehen hier noch drei Windmühlen. In der einen wurde Getreide gemahlen, die anderen beiden dienten als Wasserschöpfwerke.

Als wir in Varel einfahren, fällt uns ein besonders süsser Geruch auf. Schliesslich kommen wir der Sachen auf die Spur. Hier befindet sich ein Fabrikationsbetrieb von Bahlsen. Die Suche nach unserer heutigen Unterkunft, gebucht über booking.com, macht uns heute besondere Mühe. Aber nach der Konsultation von Margrits Handy und verschiedener Passanten finden wir die Pension, in der auch ein asiatisches Restaurant integriert ist. Heute wird asiatisch gegessen.

Samstag, 9. Juli
Heute steht uns laut Prognose ein windiger Tag bevor. Wir studieren vor dem Frühstück ausgiebig die Route, die uns aus Varel herausführen soll, um Irrfahrten zu vermeiden. Zudem packen wir alles, um unmittelbar nach dem Essen starten zu können.
Wir schaffen den Start problemlos und stossen schon kurz nach Varel auf eine Erdölpumpe mitten in der Landschaft. Eine daneben angebrachte Informationstafel gibt Auskunft, dass hier in den Sechzigerjahren Erdölvorkommen gefunden und bis 1993 ausgebeutet wurden. Als sie versiegten, wurde die Gegend renaturiert und wieder landwirtschaftlich genutzt.
Nun führt die Route mehrheitlich den Deichen entlang, und wir müssen je nach Fahrrichtung recht streng gegen den Wind ankämpfen. Da bewährt sich nun das E-Bike sehr. Mit dem herkömmlichen Fahrrad wäre das eine viel mühsamere Sache. Und von Stunde zu Stunde nimmt die Windstärke zu. Trotzdem machen wir gelegentlich einen Halt, sei es, um Vögel zu beobachten oder Muscheln für die Enkelkinder zu sammeln oder einen Drink und ein Krabbenbrötchen zu geniessen. Schliesslich muss man sich bei diesem Krampf auch mal wieder Energie zuführen. Aber gegen Schluss unserer Etappe fahren wir endlich Richtung Südosten, und da hilft uns nun der Wind kräftig. In Windeseile erreichen wir Blexen, wo wir die Fähre über die Weser nach Bremerhaven besteigen können.

Im Hafen angekommen, hilft uns GoogleMaps, das Hotel auf schnellstem Weg zu erreichen. Da wir frühzeitig da sind, schaffen wir es, die Stadt noch etwas zu erkunden. Bremerhaven ist eine moderne Stadt mit grossen Plätzen und modernen Gebäuden. So eine richtig alte Hafenkneipe finden wir leider nicht.


Sonntag, 10. Juli
Entspannt können wir heute das Frühstücksbuffet geniessen, das eine Riesenauswahl an leckeren Sachen bietet. Heute ist nämlich das Radfahren vorbei. Wir fahren heute Abend mit dem Nachtzug zurück in die Schweiz. Was bietet sich in Bremerhaven an? Diese Frage haben wir uns schon gestern gestellt und sind zum Schluss gelangt, dem Klimahaus unsere Aufmersamkeit zu schenken.
Vorerst aber räumen wir nach dem reichhaltigen Morgenmahl unser Hotelzimmer und machen unsere Velos abfahrbereit. Wir können sie im Veloraum des Hotels stehen lassen und im Laufe des Nachmittags dort abholen.
Als nächstes gehen wir zum nahe gelegenen Bahnhof, wollen uns dort über die Bahnfahrt mit Mitnahme der Fahrräder nach Hamburg informieren und die entsprechenden Tickets kaufen. Das Reisezentrum ist aber coronabedigt geschlossen, was immer das auch heissen mag. Also müssen wir uns anderweitig klug machen. Eine Kioskverkäuferin und ein Passant können uns ein paar Tipps geben, und so lassen wir aus dem Ticketautomat zwei neun Euro-Tickets für den Monat Juli und eine Karte für zwei Fahrräder heraus.
Darauf machen wir uns auf denn Weg zum Klimahaus, das auf eindrückliche Weise auf die Probleme der Klimaerwärmung aufmerksam machen will. Die Ausstellung findet in verschiedenen Räumen von unten nach oben im Gebäude statt. Als Besucher folgt man einem Reisenden, der auf dem Längengrad 8° 34’ Ost rund um die Erde reist und an verschiedenen Orten Halte einschaltet, um und sich mit Bewohnern dieser Orte über ihre Lebensweise und ihre Erfahrungen auszutauschen. Dabei kommen diese Personen in Bild und Ton zu Wort. Zudem werden Landschaften, Lebensumstände und Tiere möglichst real dargestellt. Die erste Etappe der Reise führt nach Isenthal in der Schweiz, die zweite nach Sardinien, dann sind Niger, Kamerun und die Antaktis an der Reihe. Vom Südpol aus führt die Reise weiter auf der westlichen Erdhälfte nach Samoa, Alaska und über den Nordpol zurück zur Hallig Langeness und Bremerhaven. Mehr kann man auf der Website des Klimahauses erfahren.


Nach dem über dreistündigen Besuch gehen wir in die Innenstadt, wo ein Fischbrötchen und ein Schwarzwaldbecher zum Abschluss unseres Aufenthalts an der Nordsee herhalten müssen. Dann holen wir die Velos ab, fahren zum Bahnhof und reisen mit dem Regioexpress nach Buxtehude und darauf mit der S-Bahn nach Hamburg Altona. In einem nahen türkischen Restaurant essen wir noch etwas Kräftigendes, damit wir die Heimreise im Nachtzug gut überstehen. Die Schlafwagenplätze waren bei der Buchung schon alle reserviert, deshalb lösten wir erste Klasse. Nicht ganz überraschend ist der Erstklasswagen der letzte Wagen des Zugs, die Veloplätze befinden sich im zweitvordersten Wagen. Aber als ich mit Margrits Velo da vorne ankomme, ist er geschlossen. Ich denke, der wird dann schon geöffnet und hole mein Velo nach vorne. Wie ich mit dem zweiten Velo da bin, erklärt mir der Schaffner, dass dieser Wagen wegen technischer Probleme mit der Klimaanlage geschlossen bleibe. Ich könne die Fahrräder im viertletzten Wagen hinstellen. Das mach ich darauf fluchend und lästernd über die deutsche Bahn. Der Schaffner klärt mich auf, das dafür die Österreichische Bundesbahn verantwortlich sei. Als nächstes kann der Zug wegen technischer Probleme nicht losfahren. Und schon spielt sich ein neues Drama ab, weil eine Familie mit zwei Kleinkindern und und den Grosseltern im defekten Wagen Plätze reserviert hatte, diese jetzt nicht benützen kann und in den Erstklasswagen geschickt wurde mit dem Hinweis, dass sie Platz machen müsse, wenn Passagiere die nun belegten Plätze reserviert hätten. Jedenfalls ist die junge Mutter sichtlich entnervt und das jüngste Kind eifert der Mutter laut schreiend nach. Unterdessen hat sich die Situation beruhigt. Der Zug fährt in die Nacht hinein, und im Wagen wird es ruhig. Gute Nacht!

Montag, 11. Juli
Kurz vor zwei Uhr morgens: Der Nachtzug steht schon einige Zeit still, nachdem er in Hildesheim einen längeren Stopp eingelegt, noch mehr Wagen angehängt hatte und nur noch abschnittsweise weiterfuhr und wieder stoppte. Dann kam der Alarm, ein immer wieder ertönendes Piep-Signal. Dann ist plötzlich Aufregung, die Zugcrew wird in den Wagen 302 gerufen. Im Wagen verbreitet sich ein unangenehmer Geruch nach Rauch und Elektrosmog. Und jetzt ist der Piepton durchgehend. Durch den Lautsprecher kommt die Durchsage, dass alle Passagiere umgehend aussteigen müssen. Wir staunen, wie das ohne Panik geschieht. Die Leute in unserem Wagen packen ihr Gepäck und begeben sich auf den Weg nach vorne und hinten zum Ausstieg, ohne gross zu drängeln. Wir schaffen es mit Ausnahme meines Handys, das gerade an der Steckdose hängt, all unser Gepäck hinauszubringen. Zum Glück steht der Zug bei einem Bahnsteig, wo nun grosses Gedränge herrscht. Wir werden angewiesen, uns nach weiter vorne zu begeben. Von Ferne hört man, das Feuerwehrhorn und sieht wenig später das Feuerwehrauto zum Bahnhof fahren. Unsere Velos sehen wir zusammen mit andern in einem der vorderen Wagen, holen sie aber nicht heraus. Das Gedränge auf dem schmalen Bahnsteig ist zu gross, und wir wissen ja nicht, was genau los ist. Überraschend kommt die Entwarnug. Wir können an unsere Plätze zurückkehren, was wieder einige Zeit in Anspruch nimmt. Nun wird über den Lautsprecher auch eine Statusmeldungen durchgegeben: Feuer im vordersten Wagen nach der Lok, Feuerwehr hat das Problem im Griff, Schadenmanager der Bahn wird erwartet, der entscheidet, ob Weiterfahrt möglich. Es ist jetzt fast drei Uhr, wir stehen noch, das Handy ist auch noch da und bis vor kurzem ertönte alle paar Minuten noch das Alarm-Gepiepse. Wann wir zuhause ankommen werden, steht in den Sternen.
Kurz nach 12 Uhr fahren wir im Hauptbahnhof Zürich ein. Zu unserem Ärger fährt der Zug nach Luzern auf dem Gleis nebenan gerade ab, als wir die Velos ausgeladen haben. Mit grosser Verspätung erreichen wir dann unseren Wohnort doch noch gesund und zufrieden, bereit für neue Abenteuer.